Das Wort ist gefallen, schwer und endgültig: „Verrat“. Es ist nicht mehr nur die Feststellung kluger Experten wie Françoise Thom, Dominique Moïsi oder Pierre Servent; es ist eine Sorge, die nun bis in die höchsten Staatsspitzen dringt, von Emmanuel Macron im Gespräch mit Wolodymyr Selenskyj bis zu Bundeskanzler Friedrich Merz, dessen Bestürzung der Spiegel berichtet. Um jedoch die symbolische Gewalt dieses Augenblicks zu erfassen, muss man General Michel Yakovleff zuhören.

Die Stunde der Wahrheit: Die Illusion hat sich aufgelöst und einer eiskalten Realität Platz gemacht: Washington hat nicht nur seinen Regenschirm geschlossen, es hat seine Software geändert, um die Semantik des Gegners zu übernehmen. Wenn morgen in London die Unterstützer der Ukraine zusammenkommen, wird die Atmosphäre schwer von dieser schrecklichen Feststellung sein. In den gedämpften Korridoren der Diplomatie wird das Wort „Verrat“, das unter Verbündeten gewöhnlich tabu ist, in aller Munde sein, denn es ist das einzige, das dem stattfindenden im Stich lassen gerecht wird.

Doch die Zeit der Klagen ist vorbei. Wenn Europa nicht als zerstückelter Vasall oder Fußnote der russischen Geschichte enden will, müssen seine Führer zwingend aus der Verleugnung heraustreten. Sie haben die moralische, fast heilige Pflicht, ihren öffentlichen Meinungen keine Beruhigungsmittel mehr zu verabreichen und ihnen endlich die nackte Wahrheit zu sagen: Wir sind nun strategische Waisen, allein gegenüber einem raubtierhaften Imperium. Die amerikanische Maske ist gefallen; es bleibt nun abzuwarten, ob unsere gewählten Vertreter den Mut haben werden, der Medusa ins Gesicht zu schauen, bevor sie uns versteinert, oder ob sie weiter schlafwandelnd auf den Abgrund zugehen werden.